Ein naher Bekannter ist gegangen …

Es gibt im Leben Menschen, die man nie getroffen hat, die einen aber begleiten als ob sie Bekannte oder gar Freunde wären. Philip Roth, der große, wunderbare Schriftsteller, war so eine wichtige Figur in meinem Leben. Seit »Portnoy’s Complaint« haben mich alle seinen Bücher durch die Zeit begleitet, sie hatten immer irgendwie auch mit meinem Leben zu tun. Nebbich, bei den Themen. Nach Saul Bellow und Bernard Malamud ist nun der letzte große amerikanisch-jüdische Autor gestorben, der von einer Zeit erzählen konnte, die unweigerlich zu Ende geht, da hilft auch kein Paul Auster und kein Gary Shteingart, die beide von mir über alles geliebte Schriftsteller sind, aber sie haben diese tiefe Jüdischkeit nicht mehr in sich wie das die drei Giganten hatten, selbst wenn sie sich, Roth vor allem, davon längst emanzipiert hatten.

 

Die Welt der Sweatshops

Als ich heute morgen aufwachte und die Nachricht von Roth’s Tod las, wurde ich ganz melancholisch, eben so, als ob ein naher Bekannter gestorben wäre. Und mir wurde einmal mehr bewußt, daß wir gerade jüdische Welten verlieren, die unwiederbringlich sind. Die jüdische Welt der USA, der Sweatshops, aus der das moderne amerikanische Judentum entstanden ist. Aber wir verlieren derzeit auch die untergegangene Welt des europäischen Judentums, da die letzten Holocaust-Überlebenden allmählich abtreten. Wir verlieren jüdische Welten, die mir manchmal kulturell soviel reicher erscheinen als das, was wir heute haben. Das mag objektiv nicht richtig sein, aber gewiß ist, daß es ein anderes jüdisches Selbstverständnis gab vor der Gründung des Staates Israel als danach.

 

Ein unterschiedliches Menschenbild

Was wir heute erleben ist der Bruch und die Wiederauferstehung des Judentums. Beides läuft parallel ab. Der Bruch ist offensichtlich, die Leere, die 6 Millionen ermordete Juden hinterlassen haben und die der Architekt Daniel Libeskind in seinem Gebäude für das Jüdische Museum Berlin mit »Leerstellen«, mit »voids« darzustellen versuchte, diese Leere ist in Europa noch deutlicher zu spüren als in den USA. Und die Wiederauferstehung in Form des Zionismus‘ hat etwas anderes geschaffen als das, was man als »jüdische Kultur« einst verstand. Die hebräische Sprache hat mit ihrem Klang, ihrer Melodie, mit ihrem sehr unterschiedlichen Menschenbild und Humor ganz andere Juden, eben: Israelis hervorgebracht. Das Israelische ist tiefgreifend anders als das Diaspora-Judentum. Und allmählich werden Israelis und Diaspora-Juden ein Gegensatz, es sind andere Erfahrungswelten. Nicht zu vergessen: die misrachisch-sefardische Kultur, die Israel heute mehr und mehr bestimmt und Einfluß nimmt auf die hebräische Kultur. Oder auch die sowjetische Kultur in Israel.

 

All das Vergangene …

Die Zeit kann man nicht zurückdrehen. Aber man kann sich Zeit nehmen und die Schätze der Vergangenheit bewahren genießen. Man kann Roth und Malamud, Manes Sperber und Joseph Roth, Kafka und Singer noch einmal lesen. Oder zum ersten Mal lesen. Und viele, viele andere Autoren. All das Vergangene … lesend bewahren.

 
Der amerikanische Schriftsteller Philip Roth.

 

Richard C. Schneider, Tel Aviv

3 Gedanken zu „Ein naher Bekannter ist gegangen …

  1. Ich habe seine Bücher auch geliebt, überhaupt „Der menschliche Makel“. Möge er in Frieden ruhen. Schade dass er den Nobelpreis nicht bekommen hat.

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