Abgründe…

Überall tun sich Abgründe auf, in Israel, in Europa, in den USA. Wer nachlesen will, was ich von den Entwicklungen in Jerusalem halte, der kann das hier tun: https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-03/israel-premierminister-benjamin-netanjahu-machtverlust-haftstrafe-gefahr-faschismus/komplettansicht

Was mich noch mehr beschäftigt, als Europäer, ist das zögerliche Vorgehen der Konservativen in Sachen Ausschluß der Fidész-Partei aus der gemeinsamen Fraktion im EU-Parlament in Brüssel. Immerhin haben nun 9 Parteien aus 7 Staaten an die EPP geschrieben, damit dies endlich geschieht. Die Deutschen zögern noch ein wenig.

Nicht genug, daß man lange der antisemitischen Politik von Viktor Orbán mehr oder weniger schweigend zugesehen hat (und natürlich auch seinem insgesamt dramatischen Abbau an demokratischer Freiheit in Ungarn), im Augenblick scheint es noch ein wenig taktische Überlegungen zu geben. Denn wenn Ungarn aus der konservativen Fraktion ausgeschlossen wird, könnte sich Orbán mit Salvini verbünden und wenn dann die Rechtspopulisten richtig gut abschneiden, dann wäre nicht nur der Wahlsieg von Manfred Weber gefährdet, sondern die Ultrarechten könnten dann eventuell eine Fraktion in einer Größenordnung haben, die vieles in Brüssel blockieren könnte.

Was macht jetzt also Sinn? Wenn man sich das letztes Jahr erschiene Standardwerk „How Democracies Die“ nochmal anschaut, dann zeigen darin die beiden Autoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt Beispiele, wo die Demokratie in Gefahr war und demokratische Parteien, die sich eigentlich einander nicht grün sind, sich dennoch vereint haben, um die Gefahr einer anti-demokratischen Partei zu bannen. Wäre es nicht an der Zeit, jenseits von Wahltaktiken endlich Farbe zu bekennen in Europa, wofür man steht?

Europäer sind wahnsinnig schnell dabei, alle Fehlentwicklungen in Israel (es gibt derer viele, ja) anzuprangern, aber die eigenen Fehlentwicklungen nicht ernst genug zu nehmen. Wie wär’s, wenn Europa sich endlich der eigentlichen Ziele und Aufgaben besinnt, für die das europäische Bündnis nach dem Zweiten Weltkrieg geschmiedet wurde: Freiheit, Liberalismus, Demokratie?

Ende März soll entschieden werden, was nun mit Fidész geschieht. Man kann nur hoffen, daß aus Brüssel das richtige Signal kommt

5 Gedanken zu „Abgründe…

  1. In der Fraktion der Grünen-EFP sitzt die antisemitische SNP und Plaid Cymru, dazu die ultraantisemitische PSC aus Katalonien. Bei den Sozialdemokraten verweilen die extrem korrupten Rumänen-Sozialisten, die Antisemiten der Labour Party. Bei Gysis Linkentruppe finden wir Sinn Fein, die im I. Weltkrieg und II. Weltkrieg Hindenburg und Hitler gefolgt sind. WAS BLEIBT ÜBRIG?

    1. „WAS BLEIBT ÜBRIG?“ –

      1. Die Erkenntnis: Die „Anderen“, das sind „Wir“. Die „Anderen“ lassen sich immer weniger trennen oder aus der Gesellschaft wegdenken. Wir sind Eine Gesellschaft, Eine Weltgemeinschaft, Eine Humanität und also solche die Summe Aller Bestandteile.

      2. Wie kann der Einzelne gegen das Ungute im Denken und Tun des Anderen Widerstand leisten, wohl wissend, dass das Ziel, die Demokratie mit den eigenen Mitteln wieder zu reparieren, unerreichbar bleibt? – Die einzig mögliche Antwort ist klischeehaft und doch richtig: Sich an den Vorbildern der Vergangenheit orientieren. Bewusst leben. Frei und verantwortlich. Freiheit leben, nutzen und die Konsequenzen tragen. Reden, schreiben, handeln – lieben, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten. Zusammenstehen mit anderen, die genauso empfinden. Das heisst auch: Nicht aus Prinzip, aber de facto gegen den Zeitgeist leben.

  2. Eine Frage, die ich mir im Zusammenhang mit *den* global um sich greifenden « illiberalen Demokratien » stelle, ist die, welches die Konsequenzen sind, wenn sich diese Entwicklung überall abzeichnet.

    Echte, gut gedeihende Demokratie wird sich immer durch ihre Vielfalt auszeichnen. Dieser Pluralismus ist Ausdruck davon, dass jeder willkommen ist. – Junge, Alte, Gesunde, Kranke, Gelbe, Grüne, Weisse, Schwarze. Alle Ethnien können gut integriert leben, eine Vielfalt von Religionen (insofern sie nicht selbst wieder illiberal sind) ein Zuhause finden. Randgruppen bzw. Einzelpersonen am Rand finden ihren Platz in der Mitte der Gesellschaft – geschützt, anerkannt und mit menschlicher Würde.

    Der charakteristische faschistoide Zug illiberaler Demokratie hingegen hat eine selektive Magnetwirkung. Wer sich zughörig fühlt, fühlt sich in besonderem Masse willkommen und privilegiert, und wer nicht zu dieser zentralen Gruppe gehört, die nicht zwangsläufig eine Mehrheit im Land darstellen muss, fühlt sich stärker ausgegrenzt und immer weniger zugehörig, manchmal bis hin zu einem existentiellen Bedrohtsein. Auf diese Weise begünstigt die illiberale Demokratie Wanderbewegungen. Wer an einem Ort dazugehört, bleibt, und wer das nicht tut, wird sich bemühen, da hinzuwandern, wo er sich zumindest einigermassen willkommen fühlt.

    Für Juden bedeutet das heute bzw. es sollte heute eigentlich bedeuten : Wir gehen nach Israel. Aber nicht jeder verlässt die Heimat in der Diaspora zugunsten Israels. Für französische Juden ist Canada beispielsweise noch eine andere Alternative. Und nun ist es ja auch so, dass der faschistoide Trend selbst vor Israel nicht Halt macht, und das ist ein Umstand, über den ich immer wieder stolpere. Juden, die Antisemitismus erfahren, die sich diskriminiert fühlen, machen Aliya, gehen nach Israel, nicht nur um vor Judenhass zu fliehen, sondern um dann in Israel selbst zur Eigengruppe (ingroup) zu gehören. Das heisst, die politischen Verhältnisse sind in Israel nicht wirklich besser, aber sie gereichen stärker zum eigenen Vorteil und zum Nachteil dortiger (mal enger, mal weiter gefasster) Fremdgruppen (outgroup).

    Tja, und was machen dann diejenigen in Israel, die zwar jüdisch sind, jedoch dennoch einer Fremdgruppe angehören – weil sie nicht religiösen Erwartungen entsprechen oder die « verkehrte » Hautfarbe haben oder ähnliches ? (Und was ist mit arabischen Israelis ?) Was tun, wenn es keinen Fluchtort mehr gibt ? Ich bin mir Israels eigener Bedrohungslage sowohl von aussen als auch – demographisch – von innen sehr bewusst, aber wenn Jüdischsein immer enger definiert wird, so führt die Definition zu Spaltung, Hass und Entzweiung, und wenn ich mich richtig erinnere, wird hierin nach jüdischer Lehre der eigentliche, metaphysische Grund (grundloser Hass – « sinat chinam ») für die Zerstörung der beiden jüdischen Tempel mit anschliessendem Exil gesehen. Unter religiösen Juden scheint es nur die Hoffnung auf den Dritten Tempel zu geben, und niemand zieht jemals die Möglichkeit eines erneuten Exils in Erwägung bzw. bedenkt, was jüdischem Verständnis nach Voraussetzung dafür ist, dass es sich nicht wiederholt.

  3. Zu Ihrem Artikel zur momentanen Lage in Israel, den sie oben verlinkt haben: Wenn doch zwei Drittel aller Israelis dafür sind, dass Benjamin Netanjahu zurück tritt, warum gehen sie dann nicht so lange auf den Straßen demonstrieren, bis er das auch tut?

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