Die Funktion der Juden in Deutschland | Teil 1

Ich muss zugeben – meine Zeit diesmal in Deutschland war deprimierend. Was ich da in den Medien, in Diskussionen, auf der Straße so mitbekommen habe, ließ mir teilweise das Blut in den Adern gefrieren. Insbesondere die unglaubliche Hilflosigkeit all jener, die gegen Rechts sind, die anständige Demokraten sind und sich in Hilflosigkeiten verlieren, in Diskussionsrunden, deren intellektueller Mehrwert etwa den Diskussionen der Marxistischen Gruppe im Germanistischen Institut während meiner Studienzeit in München entsprach.

Immer wieder kommt es dann zur Frage, wie ich »als Jude« damit umgehe, was ich dazu sagen würde, »als Jude«. Nicht als Deutscher, sondern als Jude. Und schon merkte ich, wie man mich schon wieder vereinnahmen will. Der Jude soll’s richten, soll die »Leitlinien« (nein, keine Sorge, nicht die »Leitkultur«) vorgeben. Naja, ich übertreibe jetzt ein bißchen, aber so ein wenig hat es sich schon angefühlt.

Juden werden ge- und mißbraucht in dieser Bundesrepublik, von Anfang an. Da mußte die junge BRD am Umgang mit den Juden nach 1945 zeigen, daß sie etwas »gelernt« habe aus der Geschichte. Und wer schon älter ist, erinnert sich, daß Heinz Galinski, der langjährige Vorsitzende des Zentralrats der Juden und Auschwitz-Überlebender, immer dann in der Tagesschau auftauchte, wenn die BRD mal wieder Mist gebaut hatte und man gerügt werden mußte, wie kleine Kinder. Da nahm Galinski die Rolle des Mahners, des Aufpassers, des Erziehers der Deutschen an. Vielleicht nicht ganz freiwillig, auf alle Fälle war es ein Fehler.

Später dann kam Bubis, der sich irgendwie in der Mitte der Gesellschaft niederlaßen wollte und meinte, nun eine aufgeklärte Gesellschaft vor sich zu haben, mit der man etwas anfangen könnte. Trotz des Fassbinder-Stückes in Frankfurt, trotz der permanenten Anfeindungen (berühmtes Spiegel-Interview mit Bubis zur Häuserentmietung in Frankfurt:»Sie können mich einen Spekulanten nennen, aber wenn sie mich einen jüdischen Spekulanten nennen, dann ist das Antisemitismus!«). Derselbe Bubis, der durch die Talkshows tingelte, geliebt wurde, verehrt und sich dann mit einem Martin Walser herumschlagen mußte. Und was sagte Bubis am Ende seines Lebens: Es war alles umsonst. Und er ließ sich in Israel begraben, weit weg von jenen, die sein Grab hätten schänden können.

In diesen Tagen – es sind die hohen jüdischen Feiertage – denke ich viel an meinen Vater. Er ist auf dem jüdischen Friedhof in München begraben. Das fand ich immer ok. Inzwischen bereitet es mir Kopfzerbrechen. Ich weiß nicht, ob ich das so gut finde, daß meine Familie in Deutschland begraben ist.

Ich sehe die Hilflosigkeit der SPD, das Hin- und Hergetue der CDU, vor allem in Sachsen, aber auch in Berlin, und von München brauchen wir gar nicht zu reden.

Und wieder werden Juden befragt, interviewt, als Seismographen für die Entwicklungen in Deutschland von den Medien herangezogen. Natürlich. Wie fühlen sie sich? Ach, nicht so gut? Finden sie es so schlimm? Übertreiben sie nicht ein wenig?

Ein Interview mit Max Czollek auf SPON ist so ein Beispiel:

http://www.spiegel.de/plus/max-czollek-eine-juedisch-muslimische-leitkultur-ist-die-beste-chance-a-06df9f32-8fd3-4b88-bb80-124c15da3bc9

Hilfe – da sagt ein Jude, daß nie wieder alles normal wird! Huch, das ist doch schrecklich, wir haben doch soviel dafür getan. Kann schon sein. Es wird nicht reichen. Es wird nie wieder normal. Und das ist auch ok so. Das schreibe ich nicht aus Häme, sondern weil man nur dann miteinander reden kann, wenn man weiß, daß nie mehr etwas normal sein wird.

Am allerwenigsten ist es normal, wenn man Juden nun als Alibi benutzt, um sich von den Muslimen abzuschotten, wie das soviele deutsche Politiker derzeit machen (Stichwort:»jüdisch-christliche Kultur«). Auch Kretschmer ist so einer. Entsetzen wegen des Angriffs auf das jüdische Restaurant in Chemnitz, hektische Aktivität – beim Rest in Chemnitz hat er’s »gemächlicher« angehen lassen. Und dümmer. Weil er nicht versteht, daß das eine nicht vom anderen zu trennen ist.

Was vielen deutschen Politikern nicht klar ist: Auch wir Juden in Deutschland sind Migranten oder Kinder von Migranten. Meine Eltern sind nach dem Holocaust als Überlebende auf umständlichen Fluchtwegen in Deutschland als DPs (Displaced Persons) hängen geblieben. Und die russischen Juden, die heute die Mehrheit in den Gemeinden darstellen, sind eben auch: Migranten. Ich bin Kind von Migranten. Meinen Sie, daß ich für Migranten keine Gefühle habe? Nicht, wenn sie Rassisten, Kriminelle oder Extremisten sind, aber prinzipiell eben doch? Und daß ich den Umgang mit ihnen in Deutschland mit Sorge betrachte?

Nein, Deutschland, diese Musterdemokratie hat noch viel zu lernen. Vor allem, daß »Juden« keine »Sonderaufgabe« in Deutschland haben. Wir sind deutsche Staatsbürger und haben nicht mehr und nicht weniger Verpflichtungen als alle anderen – außer wenn wir, wie nun wieder vermehrt, ausgegrenzt werden und wieder einmal erfahren müssen, daß wir nicht sicher sind in Deutschland.

Ich lebe ja seit Jahren nicht mehr in Deutschland. Aber das läßt mich nicht ruhiger schlafen. Denn Deutschland wird immer ein Teil von mir bleiben. Auch wenn das viele AfDler und andere nicht so sehen wollen.

 

Richard C. Schneider, Tel Aviv

2 Gedanken zu „Die Funktion der Juden in Deutschland | Teil 1

  1. « … Frage, wie ich ‘als Jude’ damit umgehe, was ich sagen würde, ‘als Jude’. Nicht als Deutscher, sondern als Jude… »

    Bös’ gemeint ist diese Frage ja nicht. Es stimmt ja das, was Juden von jeher gesagt haben, nämlich dass das, was man ihnen antut, letztlich immer die Freiheit und das Wohl ALLER gefährdet. Die Juden trifft’s immer zuerst. Das macht Juden als Gruppe in der Tat zu einer Art Seismograph für den Zustand einer Gesellschaft. – Oder etwa doch nicht ?

    « Und schon merkte ich, wie man mich schon wieder vereinnahmen will. »

    Derjenige, der sich in dieser Rolle sieht und derjenige, der – so gefühlt – vereinnahmen will, bilden ein Paar. Dieses « schon wieder » wird sich so lange wiederholen, bis das, was da für den Betrofenen zu verstehen ist, integriert wurde. (Das hat nichts mit Jüdischsein zu tun, nur mit Menschsein, aber Freud kann helfen.)

    « Es wird nie wieder normal. Und das ist auch ok so. Das schreibe ich nicht aus Häme, sondern weil man nur dann miteinander reden kann, wenn man weiss, dass nie mehr etwas normal sein wird. »

    Es ist normal, dass nie wieder etwas normal sein kann. Die gefühlte Normalität während einer Zeit – zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts… war die Ausnahme in der Geschichte, nicht die Regel.

    « Am aller wenigsten ist es normal, wenn man Juden nun als Alibi benutzt, um sich vor den Muslimen abzuschotten… »

    Ich versuche es und kann mich in dieses Gefühl hineinversetzen.

    Zugleich aber tun Sie, Herr Schneider, das Umgekehrte, gerade so, als freuten Sie sich über eine massive Einwanderung, denn damit wird die nicht jüdische Bevölkerung auf die Probe gestellt. Sie drücken gerne beide Augen zu, was die Probleme des Islam bzw. mit dem Islam betrifft. Den Islam gar nicht erst erwähnen, weil Migranten ja nur Menschen sind, und wenn dann religiös und kulturell bedingte Gewalt, bis hin zu Morden, von Muslimen ausgeht, dann doch Häme empfinden, weil die Deutschen so völlig damit überfordert sind und weil sich dann so schön die alt-neuen Nazis wieder zu Wort melden und zeigen, wer/was Deutschland wirklich ist, immer war und nie aufgehört hat zu sein.

    So zu empfinden, … ist auch speziell.

    Also, der Oberrabbiner in Lyon/Frankreich, der aschkenasisch ist und kein Migrant und dessen Ehefrau sephardische Jüdin ist, hat bereits 2015 bitterbös auf Merkels Willkommenskultur geschimpft, da sie dem (importierten) Antisemitismus damit Tür und Tor öffnete. Er empfand diese Offenheit selbst als antisemitisch, ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten europäischer Juden. Europäischer Juden, von denen ein hoher Anteil aus jenen Ländern stammt, wo Migranten nun herkommen. Wie viele Juden leben heute noch in den Ländern Nordafrikas, in Syrien, in der Türkei ? Warum ?

    « Wir [Juden] sind deutsche Staatsbürger… [wie] alle anderen – ausser wenn… »

    Sind Sie nun doch angekommen als « Deutscher » in Deutschland, nicht mehr nur Bürger mit deutscher Staatsangehörigkeit, da Sie Ihren Lebensmittelpunkt ganz nach Israel verlegt haben ?

    « …. ausser wenn wir, wie nun wieder vermehrt, ausgegrenzt werden und wieder einmal erfahren müssen, dass wir nicht sicher sind in Deutschland. »

    Nicht sicher ? Wegen der Gefahr von Rechts – oder der durch Migranten ? Sehen Sie die Gefahr mit beiden Augen, oder ist der Blick auf einem Auge getrübt, weil Sie dann die « Sorge » derer teilen müssten, die für Sie noch mehr verhasst sind als der Hass jener Migranten auf Sie jemals sein kann ?

    Im Übrigen ist es vielleicht ein Trost, dass es auch nichtjüdische Deutsche in Deutschland gibt, die das Gefühl haben, in Deutschland nicht mehr sicher zu sein. Diese aber haben kein Israel, wohin sie fliehen können. Und damit wieder zurück zum Anfang…

  2. Hier mal ein Kontrapunkt zum Thema:
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/leiter-des-juedischen-museums-berlin-peter-schaefer.970.de.html?dram:article_id=429172
    Allerdings stimme ich Peter Schäfer nicht darin zu, dass die Vorbehalte der Muslime gegen Israel nur aus Europa kommen. Das hat freilich auch mit den direkten Erfahrungen der Palästinenser mit den Israelis während deren Staatsgründung zu tun. Das habe ich auch erst richtig verstanden nachdem ich den Roman „Während die Welt schlief“ von Susan Abulhawa gelesen habe.

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