Ganz ehrlich

Ganz ehrlich? Ich glaube, es gibt keine Chance, daß Bibi Netanyahu die Wahlen nicht gewinnt. Alles läuft gut für ihn, sogar die Tatsache, daß er Ilhan Omar und Rashida Tlaib nicht nach Israel gelassen hat. Ja, das dürfte wohl die israelisch-amerikanischen Beziehungen auf Jahre massiv beschädigen (lange, wenn Bibi schon weg sein wird), aber für seine Klientel war das mal wieder ein Zeichen, daß Bibi ein „ganzer Kerl“ ist.

Und wer sollte ihn besiegen? Meretz mit Ehud Barak, der zwar aggressiv gegen Bibi austeilt, aber der durch seine dubiosen Kontakte mit Jeffrey Epstein ins Aus geschossen wurde? Amir Peretz von der Arbeitspartei, der mit einem absurden Besteuerungsprogramm Politik machen will und der sich mit einer Politikerin verbündet hat (Orly Levy-Abecassis), die gewillt ist, im Zweifelsfall mit Bibi in eine Koalition zu gehen, wird der staatsgründenden Arbeitspartei möglicherweise den Todesstoß versetzen, so daß sie nicht einmal mehr in die Knesset kommen wird.

Und dann ist da ein gewisser Benny Gantz von der Kahol-Lavan Partei. Kraftlos, matt, ohne Biss – wie schon beim letzten Wahlkampf. Es gibt ihn nicht. Ab und an ein Tweet, irgendwo ein Auftritt. Keine programmatische Rede, kein Angriff auf Bibi, keine echte Opposition, sondern ein Mann, der den Buchstaben L für Loser bereits auf seine Stirn geschrieben hat und irgendwie sich schon bereit zeigt, eventuell unter bestimmten Bedingungen sogar mit Bibi zu koalieren.

Bleibt nur noch einer: Avigdor Lieberman, der in Umfragen im Augenblick 10 Mandate hat. Er allein könnte Bibi verhindern, weil ohne ihn die Rechte keine 61 Mandate bekommt (Die Knesset hat 120 Sitze). Er allein könnte Bibi verhindern. Er sagt, er will das tun. Aber was heißt das schon bei Politikern.

Nein, im Augenblick schaut es für die sogenannte Opposition, die keine echte Opposition ist, nicht gut aus. Bibi könnte also der große Gewinner werden und eventuell auch noch seinen Kopf aus der Schlinge ziehen und sich einer Anklage wegen Korruption entziehen.

Was das alles für das Land und für die Demokratie in dem Land bedeuten würde, kann man sich vorstellen. Aber wahrscheinlich muß es noch viel, viel schlimmer werden ehe es wieder besser werden kann. Da ich aber ein eingefleischter Pessimist bin, glaube ich nicht einmal mehr, daß es in einer Post-Bibi-Ära, also irgendwann mal, besser werden könnte. Die Zeiten sind einfach nicht so.

Aber vielleicht habe ich heute ja auch nur einen schlechten Tag und alles wird ganz anders am 17. September. Ganz ehrlich? Da müßte bis dahin noch ein echtes Wunder geschehen.

Ein Gedanke zu „Ganz ehrlich

  1. Herr Schneider, vor vielen, vielen Jahren lief ein Beitrag von Ihnen auf dem WDR, meine ich. Ich habe ihn mit größter Aufmerksamkeit verfolgt. Er befasste sich mit den jungen Leuten, die demonstrativ gelbe T-shirts tragen, als Zeichen der Sympathie für die Kahane-Bewegung, so wie bei uns die Neonazis Sportkleidung von Helly Hansen oder LoNSdale tragen, als Code. Es ging um die Siedler und das Erstarken der rechten Kräfte. Der letzte Satz hat sich mir zumindest sinngemäß ins Gedächtnis eingegraben: Nach langen Jahren ist Israel endlich im Orient angekommen.
    Eben, das ist es. Die Masseneinwanderung russischer Faschisten, das Werk Shamirs und Sharons, hat gefruchtet. Bei uns sind sie auch heimisch geworden, sie wählen AfD; Dr. Korenzecher, Orit Arfa und H.M. Broder sind ihre Wortführer, nicht der blasse Dr. Schuster, dem sie vorwerfen, er unterwerfe sich als „Merkels Systemling“ der „Islamisierung“. Israel ist keine westliche Gesellschaft mehr. Wer das noch ernsthaft anstrebt, findet sich im Handumdrehen auf der Schmähliste der Rechten wieder als „Selbsthasser“. Die Unterstützung aus den USA kommt von Sheldon Adelson und von Rebekah Mercer und Nina Rosenwald mit ihrem „Gatestone-Institute“ und ihren „Breitbart-News“, damit mitnichten(!!!) von den amerikanischen Juden, sondern von weißen, meist protestantischen, strunzdummen Trumpwählern und bibelverrückten Südstaatlern und Mittelwestlern, mit ihren Vorstellungen, die auch nichts mit moderner Rechtsstaatlichkeit oder gar dem Ideal der Gleicheit aller Menschen zu tun haben. Für diese Menschen ist „Bibi“ der neue König Salomo und Moses in einem, der Israel in eine leuchtende Zukunft führen wird.

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