Holocaust auf Instagram

Holocaust auf Instagram?

Ich erinnere mich noch gut, wie das damals war, als in der ARD die vierteilige US-Serie „Holocaust“ lief. Die Deutschen waren geschockt und begannen sich endlich mit ihren Verbrechen an den Juden auseinanderzusetzen. Die Serie wühlte auf, verstörte die Tätergesellschaft und ihre Nachkommen. Warum? Ziemlich einfach: weil sie, im Stile amerikanischer Unterhaltungsserien, die Ermordung von 6 Millionen Juden am Beispiel einer einzigen jüdischen Familie zeigte. Diese „Personalisierung“ oder „human touch“ wie wir das heute nennen, war ein einfacher dramaturgischer Griff, um das Morden erfassbar zu machen. Unter 6 Millionen Morden konnte sich niemand etwas vorstellen, aber unter der Ermordung e i n e r Familie sehr wohl.

 

Trivialisierung durch eine US-Soap?

Dabei hatte die Serie heftige ästhetische und gesellschaftspolitische Diskussionen ausgelöst: Darf man das, den Mord an den europäischen Juden so zu „trivialisieren“? Ist das pietätvoll im Stile einer US-Soap so eine reale, wahre Tragödie zu zeigen? Es gab viele, die sich entrüstet von dieser Serie, die dem Judenmord der Nazizeit für immer seinen Namen gab, „Holocaust“ eben, abwandten, weil sie sich auf die „richtige Seite“ stellen wollten, weil sie beweisen wollten – gerade in Deutschland – daß sie sich moralisch entrüsten können, wie mit „ihrem“ Holocaust umgegangen wird, noch dazu mit vielen Fehlern im Detail. Daß dabei auch noch die Wut auf die Siegermacht hinzukam, die sich das einfach so traute zu machen, versteht sich von selbst.

 

Die Filme Atze Brauners

Vierzig Jahre später ist „Holocaust“, die Serie, ein Stück Filmgeschichte geworden. Wer allerdings meint, diese Serie sei die erste fiktive filmische Auseinandersetzung mit dem europäischen Judenmord der Nazis gewesen, irrt. Allein in Deutschland begann schon sehr früh, in den frühen 50er Jahren, ein Mann einen Holocaust-Spielfilm nach dem anderen zu drehen: Der jüdische Filmproduzent Arthur „Atze“ Brauner. Selbst ein Holocaust-Überlebender, wollte er der Tätergesellschaft zeigen, was sie verbrochen hat. Die Filme waren teilweise von grauenhafter Qualität, so schlecht, daß man ohne weiteres Einspruch hätte erheben können, wie das Leiden der Juden da „verkitscht“ dargestellt wurde. Doch das geschah natürlich nicht. Die Tätergeneration traute sich das nicht, noch dazu bei einem jüdischen Filmproduzenten. Was sie sich allerdings schon traute war, Kinos, in denen diese Filme gezeigt wurden, anzugreifen, Fensterscheiben einzuschlagen oder die Kinobesitzer so einzuschüchtern, daß sie die Holocaust-Filme des Atze Brauner lieber nicht zeigen wollten. Zu seiner Ehre muß man aber sagen, daß Brauner durchaus auch hervorragende, spannende Holocaust-Filme gemacht hat: „Zeugin der Anklage“ war so ein Film, mit Irene Pappas und Heinz Drache, dem damals so beliebten Edgar-Wallace-Kommissar.

 

Von Anfang an: Der Holocaust in der fiktiven Verarbeitung

Also bereits unmittelbar nach dem Krieg begann die fiktiv-ästhetische Aufarbeitung des Massenmordes an den Juden. In Deutschland und anderswo auch. Was war an der Serie „Holocaust“ so anders? Ich glaube wirklich, daß es zweierlei war: daß die Siegermacht USA sich des Themas annahm und daß die Serie – hoch professionell – mit einer typisch amerikanischen Dramaturgie „durchdekliniert“ wurde, und – am schlimmsten: daß es funktionierte.

 

War „Schindlers Liste“ zulässig?

Wir sind inzwischen vielerlei gewöhnt in Sachen „Spielfilme“ zum Holocaust. Da gibt es bessere und schlechtere Beispiele, selbst in Sci-Fi-Filmen wurde nicht mehr vor dem Thema halt gemacht, etwa bei einem frühen X-Man Film, wo man erzählt bekam, daß der junge X-Man ein Überlebender eines KZ war. Es gibt „Sophie’s Choice“, es gibt, es gibt… es gibt natürlich auch Spielbergs Geniestreich: „Schindlers Liste“.

Doch auch diesen Film hätte man kritisieren können. Spielbergs Trick, den Film in Schwarz-Weiss zu drehen, um ihm so mehr Authentizität zu geben, hat ja eine gewisse Fragwürdigkeit. Darf man die Ästhetik, mit der wir den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg über Jahrhunderte gesehen haben (in S/W ehe Dokumente in Farbe entdeckt wurden) einfach so übernehmen, um „Echtheit“ zu simulieren? Doch die Wucht und Grandiosität dieses Films ließen solche Feuilleton-Diskussionen schnell verstummen. Und wie schon „Holocaust“, die Serie, so hat auch dieser Film Anfang der 90er Jahre nicht nur Deutsche, sondern Menschen überall auf der Welt mit großer Wucht mit dem Thema konfrontiert, so wie es kein Geschichtsunterricht, keine Bücher, kein Dokumentarfilm es je geschafft haben.

 

Nun also: Holocaust auf Instagram

Und nun also das: Rechtzeitig zum Yom HaShoah in Israel haben Mati Kochavi und seine Tochter Maya ein ganz besonderes Projekt gewagt und finanziert:

Als @eva.stories wird auf Instagram die Geschichte der 13jährigen Eva Heyman erzählt, ein jüdisches Mädchen in Ungarn, das tatsächlich existierte und schließlich deportiert wurde. Hier wird im Instagram-Stil als „Selfie-Movie“ die Geschichte nacherzählt. So wie die wahre Eva das wohl getan hätte, wenn sie damals schon Instagram gehabt hätte und sich entsprechend hätte präsentieren können. Sich und die Geschehnisse um sie herum. Natürlich gab es in den Diskussionen wieder ein heftiges Hin- und Her. Darf man das? Was ist in der Bildungsarbeit schiefgegangen, daß inzwischen schon 1, 7 Millionen Menschen diesem Instagram Account folgen? Das ist eine Lächerlichmachung der Shoah usw. etc. pp.

 

Meine Vorfahren auf Instagram

Ich hatte Ihnen ja schon vor einiger Zeit versprochen, über dieses neue Phänomen zu berichten – aber ich war dazu bis jetzt nicht in der Lage. Dazu muß man wissen – manchen von Ihnen tun das ja – daß meine Eltern aus Ungarn stammen und die KZ der Nazis nur mit Müh‘ und Not überlebten. Viele andere in meiner Familie aber nicht. Dazu gehörten auch vier Geschwister meines Vaters im Alter von 4 bis 14 Jahren. Darunter war auch eine Schwester, Baschi. Auch sie hätte das Instagram-Mädchen sein können. Oder Cousinen meiner Mutter…

 

Holocaust auf Instagram: Man ist mitten drin im Vergangenen

Ich sah diese Folgen auf dem Account und war: in die Zeit hineingerissen. Weil dieser Selbstdarstellungs-Blickwinkel so etwas Unmittelbares hat, weil diese Art sich und seine Umgebung zu filmen oder abzufotografieren uns, den Betrachter, ja immer zum Teil des Geschehens macht. Wir sind immer dabei, Teil der „Inszenierung“, werden manchmal direkt angesprochen. Mich hat dieses Geschichts-Experiment mit voller Wucht mitten in die Magengrube getroffen. Ich war plötzlich nicht nur der distanzierte Betrachter aus der Jetztzeit, der sich etwas Vergangenes anschaut. Selbst bei „Schindlers Liste“ sitzt man ja – entsetzt, geschockt, weinend, ja – im Kinosaal und vergegenwärtigt sich gleichzeitig ständig, daß man in einem angenehm temperierten Kino sitzt und nicht in einem Ghetto oder KZ vor sich hinvegetiert und abgeknallt wird wie Vieh.

 

Ästhetisch zulässig?

Ist also @eva.stories die Zukunft der Geschichtsdarstellung? Ist der Holocaust auf Instagram zulässig? Ersteres kann ich nicht, letzeres würde ich eindeutig mit: Ja! beantworten. Es ist genauso zulässig wie die Spielfilme der vergangenen Jahrzehnte oder die Romane oder oder oder…. Jede Zeit hat seine Erzählformen, warum die heutige nicht via Instagram? Nur weil wir „Alten“ das despektierlich finden? Das ist ein lächerliches Argument.

 

Vergangenheit lebendig halten

Nein. Der Holocaust auf Instagram ist vielleicht ein wichtiger Schritt „in die Zukunft“. Gerade weil der Holocaust allmählich historisiert wird. Die Täter- und Opfergeneration tritt ab, es gibt bald keine Augenzeugen mehr. Der Holocaust – so einzigartig er ist in der Geschichte der Menschheit – wird nun genauso Geschichte wie die Gulags Stalins, der Erste Weltkrieg, die napoleonischen Kriege. Vergangenheit.

Und die Frage für uns alle ist doch: Wie hält man die Vergangenheit lebendig? Wie macht man sie nachkommenden Generationen verständlich? Stellt sie so dar, daß sie in die Lebenswelten jüngerer Menschen, die diese Zeit nicht mehr miterlebt haben, „hineinpassen“?

 

Holocaust auf Instagram – Eindeutig: Ja

Wenn der Weg heißt: „Holocaust auf Instagram“, dann ist dies für mich ein mehr als  probates Mittel, um Geschichte zu vermitteln. Es ist vielleicht sogar eine geniale Idee, die wir – in anderen Zusammenhängen – auch aus Museen kennen, die in der Darstellung von historischen Schlachten doch häufig Wege finden, daß wir uns „mitten in der Schlacht“ befinden, um ein Gefühl zu bekommen, wie das war. Ich erinnere mich noch an ein Museum in London, das dem deutschen „Blitz“ gewidmet ist. Wir saßen als Besucher in Bunkern, als plötzlich aus Lautsprechern die Bombenangriffe dröhnten und gleichzeitig der Bunker wackelte. Vor allem Jugendliche konnten damit etwas anfangen.

Und 1,7 Millionen bei @eva.stories sind ein Beweis, daß Holocaust auf Instagram funktioniert. Chapeau also den Erfindern und Machern. Und ganz besonders den Schauspielern, die wirklich großartig sind! Gehen Sie auf Instagram – und schauen Sie sich’s an!

 

2 Gedanken zu „Holocaust auf Instagram

  1. Vor einigen Jahren verunglückte ein Zug in Kaprun auf einer Gipfelfahrt und riss ca 150 Menschen in den Tod.
    Die erste Reaktion meines sonst so zurückhaltenden Vater: ungefähr so viele Familienmitglieder seien im Krieg von den Nazis ermordet worden.

  2. Gerade in der heutigen Zeit, wo bei manchen Leuten auf der ganzen Welt „rechts“ zu sein wieder „in“ ist, kommt eine solche Art der erlebbaren Erinnerung an die Folgen des Totalitarismus wie gerufen. Doch sollte man auch nicht vergessen, dass neben Juden auch viele Deutsche, die das Hitlerregime nicht unterstützten, wie etwa auch SPD-Mitglieder, unter den Nazis verfolgt wurden und als Familienväter von einem Tag auf den anderen ihren Job verloren und sich als Tagelöhner wiederfanden. So ist es etwa meinem Großvater ergangen. Diese Taktik der Einschüchterung Andersdenkender war sicher auch ein Grund warum sich viele damals nicht getraut haben, den Juden zu helfen. Denn sie mussten selbst erst einmal schauen, wie sie unter dem neuen Regime überleben konnten.

    Zu ihrer wiederholten Annahme, die Deutschen hätten eine Wut auf die USA, weil sie im Zweiten Weltkrieg gewonnen haben: Ich weiß nicht, wie das zu Beginn der Bundesrepublik war, aber ich denke zumindest heute ist doch eine große Mehrheit der Deutschen den Amerikanern mehr als dankbar dafür, dass sie uns bei der Konzeption unserer Verfassung so gut unterstützt haben. Sieht man doch heute gerade bei den Ländern des arabischen Frühlings, wie schwer es ist, aus dem Stand eine Demokratie aufzubauen, die auf Dauer Bestand hat. Sicher sähen Länder wie Libyien, Ägypten oder Syrien anders aus, wenn sie eine vergleichbare Unterstützung zum Aufbau einer Demokratie gehabt hätten. Allerdings war die Ausgangslage nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland natürlich auch eine ganz andere. Wir hatten sozusagen das „Glück“, dass wir noch einmal ganz von vorne anfangen konnten und gleichzeitig auf die Erfahrung mit der Weimarer Republik zurückgreifen konnten, im positiven, wie im negativen Sinne.

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