Wahlen in Israel: Gewonnen, aber noch nicht gesiegt

Wahlen in Israel. Benjamin Netanjahu hat die Parlamentswahl klar gewonnen. Doch für den israelischen Premierminister könnte der Kampf um sein politisches Überleben jetzt erst beginnen.

Eine Analyse 

 

Die Botschaft dieser dritten Wahl in Israel innerhalb eines Jahres ist deutlich: Es spielt keine Rolle, ob ein Politiker wegen Korruption in drei Fällen angeklagt ist und in knapp zwei Wochen deswegen vor Gericht stehen wird. Es spielt keine Rolle, wie schmutzig er einen Wahlkampf gestaltet. Selbst die Anzweiflung der geistigen Gesundheit des politischen Gegners, verknüpft mit der Verbreitung von Fake-News, ist akzeptabel. Es spielt keine Rolle, wie rassistisch er seinen Wahlkampf gegen die arabischen Bürger des Landes ausrichtet. Und es spielt vor allem keine Rolle, ob er das demokratische System Israels nach den Wahlen aushebeln will.

 

Der am längsten amtierende Premierminister

Benjamin Netanjahu, der in der Geschichte des jüdischen Staates mittlerweile am längsten amtierende Premierminister, hat gestern Abend einen überwältigenden und überraschenden Wahlsieg eingefahren. Die Auszählung der Stimmen wird noch mindestens den ganzen Montag andauern, doch die Prognosen nach Schließung der Wahllokale erklären Netanjahus Likud zum Wahlsieger mit einem sehr deutlichen Vorsprung von mehreren Mandaten vor dem blau-weißen Parteienbündnis seines Herausforderers Benny Gantz, der bei den letzten Wahlen im September noch auf Platz eins lag. 

 

Wer mit wem?

Die Prognosen besagen allerdings auch, dass der rechte Block, bestehend aus Likud und anderen rechten und religiösen Parteien, erst einmal nur 60 Mandate hat, ein Mandat weniger als in der 120 Sitze zählenden Knesset nötig, um eine Mehrheit und damit eine Regierung bilden zu können. Das könnte sich im Laufe der Auszählung allerdings noch zugunsten Netanjahus ändern. Und dann? 

Sollte Netanjahu tatsächlich ausschließlich mit den Rechten und Frommen regieren können, so ist zu erwarten, dass Bibi, wie Netanjahu in Israel genannt wird, sofort versuchen wird, die Macht des Obersten Gerichts zu beschneiden. Schon lange hat die Rechte die Absicht, dem Obersten Gericht die Fähigkeit zur Ablehnung von neuen Gesetzesbeschlüssen und damit die Unabhängigkeit zu nehmen. Das wäre dann wohl das Ende des Rechtsstaates, das Ende der demokratischen Gewaltenteilung, wie man dies aus Polen und anderswo bereits kennt. Es wäre ein anderes Israel. 
 

Ein Kampf ums Überleben?

Natürlich würde Netanjahu danach ein weiteres Gesetz durchbringen wollen, das ihm als angeklagten Premier Immunität garantiert. Ob ihm dies selbst bei einer schnellen Regierungsbildung noch vor dem ersten Gerichtstermin am 17. März gelingen könnte, ist jedoch fraglich. Doch was dann? Wird Netanjahu überhaupt eine Koalition bilden dürfen? 

Das israelische Gesetz besagt, dass ein amtierender Premier, der unter Anklage steht, erst zurücktreten muss, wenn er rechtskräftig verurteilt ist. Die juristische Frage, die es nun zu klären gilt, lautet: Ist Netanjahu rechtmäßiger Premier? Im vergangenen Jahr war er ja nur kommissarisch im Amt, da gab es keine gewählte Regierung. Darf also ein gerade gewählter, siegreicher Politiker, der unter Anklage steht, eine neue Koalition bilden? Und damit dann erst als gewählter Regierungschef antreten? Das wird das Oberste Gericht – im Augenblick ein noch unabhängiges Forum – entscheiden müssen, damit Israels Präsident Reuven Rivlin weiß, ob er Netanjahu überhaupt mit der Regierungsbildung beauftragen darf. Für Netanjahu könnte der eigentliche Kampf um sein politisches Überleben jetzt erst beginnen. 

 

Eine »Nationale Regierung“ mit einer großen Koalition?

Doch was geschieht, wenn der rechte Block nach Auszählung der Stimmen bei nur 60 Mandaten bliebe? Mehrere Möglichkeiten deuten sich an. Netanjahu könnte zunächst versuchen, einige rechte Politiker aus dem blau-weißen Parteienbündnis seines gescheiterten Konkurrenten Benny Gantz auf seine Seite zu ziehen. Einige von ihnen waren ja früher beim Likud, sie könnten zurückkehren wollen, die Verlockungen der Macht sind groß. 

Netanjahu sprach gestern Nacht in seiner Rede von einem großen Sieg, doch er sprach auch von einer „nationalen Regierung“ und dem Wunsch, nach drei Wahlgängen die Risse in der israelischen Gesellschaft kitten zu wollen. Manche Beobachter deuten dies als einen Hinweis darauf, dass er wohl für den Fall einer verfehlten Mehrheit gerne die gesamte Partei Blau-Weiß in die Koalition holen möchte. Benny Gantz könnte möglicherweise nichts anders übrig bleiben. Obwohl er eine Regierungsbeteiligung unter einem angeklagten Netanjahu stets ablehnte, könnte ihm genau das nun bevorstehen.
 

Uninspirierter Wahlkampf

Von seinen Partnern wird Gantz bereits jetzt für seinen schwachen und uninspirierten Wahlkampf kritisiert. Wenn er nicht in die Bedeutungslosigkeit fallen, wenn er verhindern will, dass Blau-Weiß sich wieder in die einzelnen Parteien, die dieses Bündnis gebildet haben, zerlegt, dann wird sich Gantz nach dieser enormen Niederlage auf eine Koalition einlassen müssen. Ideologisch sind Blau-Weiß und Likud nicht weit voneinander entfernt. Und in früheren Zeiten hatten Bibi und Gantz als Premier und Generalstabschef bestens zusammengearbeitet. Eine große Koalition der nationalen Einheit könnte vor allem eine Aushebelung der Judikative verhindern. Das allein könnte Gantz als triftiges Argument für einen Eintritt in eine Regierung Netanjahu anführen. 
 

Höchste Wahlbeteiligung seit 21 Jahren

Und die anderen Parteien? Die Wahlbeteiligung ist mit 71 Prozent die höchste seit 21 Jahren. Doch der „Linken“, dem Bündnis aus Gesher, Meretz und der einstmals staatsgründenden und stolzen Arbeitspartei, hat das nichts genützt, sie kommt wahrscheinlich gerade mal auf sieben Mandate. Es ist de facto das Ende jeglicher linken politischen Bewegung in Israel. Eine Linke ohne Vision, ohne Führungspersönlichkeiten, im Inneren zerstritten.

Lediglich die oppositionelle Joint List, die arabische Partei, kann sich über den Wahlausgang freuen. Auch wenn sie den Prognosen nach nicht sehr viel stärker geworden ist als im September, die Aussicht auf 14 oder sogar mehr Mandate, die hohe Wahlbeteiligung der arabischen Bevölkerung sind ein Novum in der israelischen Geschichte. Es ist nicht nur eine Reaktion auf den rassistischen Wahlkampf vieler jüdischen Parteien oder die geplante Annexion des Westjordanlandes unter dem sogenannten Friedensplan von US-Präsident Donald Trump. Es ist vor allem ein Zeichen der 1,8 Millionen arabischen Israelis, dass sie sich am politischen Leben ihres Staates beteiligen wollen. Eines Staates, der aber in diesen Tagen wird zusehen müssen, ob und wie Benjamin Netanjahu die Macht behalten wird.

 

Dieser Text erschien am. 3. März 2020 in der ZEIT.

© Richard C. Schneider, Tel Aviv

2 Gedanken zu „Wahlen in Israel: Gewonnen, aber noch nicht gesiegt

  1. ich denke wir brauchen gar nicht so hochnäsig und schlau auf den Wahlausgang in Israel zu schauen.Wenn jetzt in
    Deutschland Wahlen wären, könnte das Ergebnis ein ähnliches Szenario (AFD) ! sein, und eine vernünftige
    Regierungsbildung unmöglich machen!! Bleiben wir fair!

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