Zurück

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Follower meines Blogs,

Ich bin zurück. Ja, wochenlang haben Sie von mir nichts mehr gehört und gelesen. Es gab einige Gründe dafür, vor allem hatte ich tatsächlich eine ganze Weile keine Lust mehr über all den Irrsinn zu schreiben, der sich um uns herum abspielt, egal ob wir in Nahen Osten, in Europa oder den USA leben. Es gab und gibt immer wieder Momente im Leben eines Autors, dem in erster Linie als „Waffe“ nur das Wort zur Verfügung steht, es gab und gibt also immer wieder Momente, da will und kann man eigentlich nichts mehr sagen. Man verzweifelt an den Umständen, man sieht den politischen und gesellschaftliche Irrsinn um einen herum immer stärker und stärken werden und fragt sich, ob Schreiben überhaupt noch ein Weg ist, um die Vernunft, den Zweifel, die Skepsis – also jene Eigenschaften, die Ideologie und Radikalismus verhindern, am Leben zu erhalten.

„Ausgeschrieben“

Prof. Carlo Strenger, den Sie vielleicht über seine Bücher und Artikel kennen oder auch über die vielen Interviews, die wir für mein Videoblog „Zwischen Mittelmeer und Jordan“ immer wieder in entscheidenden Momenten der israelischen Politik gemacht hatten, starb im Herbst. Carlo war einer meiner besten und engsten Freunde. Sein Tod jetzt im Herbst hat mich in mehrfacher Hinsicht tief erschüttert. Carlo hatte in der israelischen Tageszeitung „Haaretz“ eine Kolumne, für die er – wie für die NZZ – regelmäßig schrieb. In den letzten beiden Jahren aber schrieb er immer seltener, er hatte sich „ausgeschrieben“, wie er mir immer wieder sagte. Er war ein linksliberaler Denker, allerdings einer, der nicht naiv war, der den Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser nicht in Gut und Böse banalisierte, der sich über die Palästinenser und ihre Absichten keine Illusionen machte und dennoch, als überzeugter Verteidiger der Menschenrechte, der Demokratie und des Liberalismus‘ die Besatzung und die zunehmende Illiberalisierung der israelischen Demokratie verurteilte und verachtete. Er warnte auch stets vor den Entwicklungen im Iran, der Gefahr, die der Iran tatsächlich für Israel auf lange Sicht bedeutet, anders als das viele Linksliberale in Europa glauben wollen. Er war ein Realist, der aber doch an die Errungenschaft der Aufklärung glaubte. Doch irgendwann hatte er keine Lust mehr zu schreiben. Er hatte das Gefühl, es gäbe nichts mehr zu sagen, es interessiere niemanden mehr, die israelische Gesellschaft sei unumkehrbar auf einen Weg, den er nicht gutheißen konnte. Sein Pessimismus war sicher auch durch seine Krankheit bedingt, aber diese tiefe, existentielle Hoffnungslosigkeit, bei gleichzeitiger Freude an Kunst, Musik, Literatur, am Denken an sich, durchzog seine journalistische Arbeit in den letzten Jahren. Seine Bücher, vor allem die letzten, die in Deutschland erschienen, sind allerdings ein Vermächtnis an eine Gesellschaft, die ihren Kompass verloren hat. Sie atmen eine große Menschenliebe und Sehnsucht nach einer besseren Welt.

Sich ärgern

Ich verstand seine Hoffnungslosigkeit im Journalistischen. Und mochte auch aus diesem Grund in den letzten Monaten in diesem Blog nichts schreiben (denn meine normale professionelle Arbeit ging und geht ja weiter). Aber – ist das eine Lösung? Eine Antwort auf die Anforderungen der Zeit? Ich überschätze die Wirkung dessen, was meine Arbeit bewirken kann, nicht. Meine Filme, Bücher, meine Artikel – kann ich damit irgendwas erreichen? Keine Ahnung. Wohl eher nicht in dieser Flut an Information, die über jeden von uns täglich hereinbricht. Um wieviel weniger kann dieser Blog etwas bewirken, das ist klar. Aber nicht schreiben ist auch keine Lösung. Und irgendwann kommt allmählich auch wieder dieses Sich-Ärgern über die Verhältnisse und Zustände hoch, in denen wir leben. Dieser innere Motor, um überhaupt schreiben zu können. Und dann drängt es einen wieder an die Tastatur, um dagegen zumindest anzuschreiben zu versuchen. Mehr geht ja nicht. Es bleibt nur das Wort. Die Hoffnung. Der Versuch, gehört zu werden, was natürlich in Zeiten der Echokammern noch schwieriger wird, weil man meistens für Gleichgesinnte schreibt. Aber sei’s drum. Es ist wie es ist.

Wasser und Decken

Heute Nacht wachte ich per Zufall genau um die Zeit auf, als die Iraner ihren Raketenangriff auf die US-Truppen im Irak ausführten. Ich verfolgte die Entwicklung live am Bildschirm und auf Twitter und fragte mich, ob nun der endgültige Wahnsinn über die gesamte Region einfallen würde. Zwar versucht Israel sich möglichst aus der Situation herauszuhalten, aber es ist klar, daß dies bei einer weiteren Eskalation nicht funktionieren wird. Die Gefahr, daß Israel in einen iranisch-amerikanischen Krieg hineingezogen wird, ist real und groß. In den letzten Tagen haben meine Freunde und ich mal wieder unsere Sicherheitsräume in unseren Wohnungen vorbereitet, für den Fall der Fälle. Irgendwie glaubt zwar niemand, daß es wirklich zu Raketenangriffen auf Tel Aviv kommen könnte, aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Man kauft Wasser, bereitet Decken im Sicherheitsraum vor, eine Matratze zum Schlafen ist eh da. Ein bißchen was zu essen usw.

Vom Krieg zum Schattenkrieg?

Während ich diese Zeilen schreibe, ist noch unklar, wie sich Trump zu dem iranischen Raketenangriff positionieren wird. Jeder hofft, daß er nicht mehr nachlegt, daß damit – erst einmal – das Schlimmste vorbei ist, daß sich die Lage wieder „beruhigen“ wird, wenngleich klar ist, daß die großen Terrorangriffe der iranischen Proxies kommen werden. Ob im Nahen Osten oder in Europa oder in den USA selbst. Daß der Krieg noch lange nicht vorbei ist, aber hoffentlich doch wieder eher ein Schattenkrieg wird, der nicht eine ganze Region ins Chaos treibt. Mal sehen.

Zurück

Ich schreibe also ab jetzt wieder, bin zurück – und hoffe, daß Sie mir wieder folgen werden. Soweit für heute und tschüss!

 

11 Gedanken zu „Zurück

  1. Schön, dass Sie wieder schreiben Herr Schneider! Es wird einsam in dieser aus den Fugen geratenen Welt. Da tut es gut eine vernünftige Stimme zu hören. Mein Beileid zu dem Verlust Ihres Freundes. Ich kann es nur zu gut nachvollziehen.

  2. Lieber Richard C. Schneider, schön, dass Sie zurück sind. Ich habe Sie bzw. Ihren Blog sehr vermisst. Zwar kann ich nicht alle Ihre Ansichten teilen, aber Ihre Beiträge sind für mich wichtige Orientierungspunkte. Ich freue mich jetzt wieder Ihnen nicht nur in den Medien zu lesen.

  3. Lieber Herr Schneider, ich folgte Ihrem Video-Blog aus Israel mit größtem Interesse, denn Sie berichteten wirklich aus der Region, ich wurde vom ersten Beitrag an „migenommen“ . Die Ihnen nachfolgenden KollegInnen haben das nicht annähernd geschafft. Ihre Stimme und Ihre Worte sind nicht vergebens, im Gegenteil! Sie sind wichtige Information und vermitteln mir gleichzeitig auch Zuversicht, dass es noch gute und recherchierende Journalisten mit einer eigenen Meinung gibt. Damit stehen Die für mich in der Reihe Ihrer großen deutschen Berufskollegen. Machen Sie bitte immer weiter! Danke. — J. Koch

  4. Seiner wahren Berufung als Mensch kann man nur gerecht werden, wenn man sich seinen Lebensmut und seine positive Einstellung trotz aller Beschwernisse des Lebens bewahrt. Frühere Generationen nannten es Gottvertrauen, in einer zunehmend säkulareren Welt könnte man diese Konzept durch den begriff Lebensmut und positive Lebensenergie ersetzen Letztlich kommt es auf das gleiche hinaus. Aufgeben sollte nie eine Option sein. Und auch seine Werte sollte man dabei nicht verlieren, denn sie machen uns erste zum Menschen. Sie gelten unabhängig davon, ob wir an einen gerechten und strafenden Gott glauben. Schön zusammengefasst haben Autoren diese Problematik schon vor Jahrtausenden in der Geschichte von Hiob, die teils auf noch ältere sumerische und babylonische Quellen zurück geht. https://de.wikipedia.org/wiki/Ijob. Christine Hayes von der Yale Universität betont in ihrem Vortag über das Alte Testament immer wieder, Hiob wäre ihr Lieblingsbuch. Ihre Interpretation des Textes fand ich sehr überzeugend: https://oyc.yale.edu/religious-studies/rlst-145/lecture-20

  5. Einen guten Shabbes und wie schön, Sie wieder zu lesen, Herr Schneider ! Sie fehlten mir schon sehr, bitte schreiben Sie weiter! Ihre Stimme ist wichtig und stellt auch ein Gegengewicht zur teilweise sehr unwissenden bundesdt. Berichterstattung aus und über Israel dar. Ich freue mich immer sehr!

  6. Sehr geehrter Herr Schneider, Erst einmal ein frohen und hoffentlich gesundes 2020. nun schließe ich sehr gern den „Vorkommentatoren“an: Welch Freude, wieder von Ihnen zu lesen. Worte sind wichtig und dass Worte viel Einfluss haben können sehen wir alle ja in diesen Tagen, bzw. seit Jahren in den USA. Selbst wenige Zeichen reichen heute aus, um zu manipulieren oder Schlagzeilen zu generieren. Machen Sie bitte weiter mit diesem hervorragenden Blog (übrigens der einzige, den ich „abonniert“ habe) und ihrer Sichtweise aus einer Region, die in unser Zeit immer wieder im Fokus steht. Schalom aleichem
    Ihr Tim Gabrys

  7. Vielen Dank Herr Schneider, dass Sie wieder „on blog“ sind. Ihre klare und detaillierte Stimme zu lesen ist so wichtig in dieser turbulenten Welt. Das schätzen wir sehr! Auch die Stimme Ihres verstorbenen Freundes C. Strenger wird uns fehlen. Bleiben Sie gesund und voll Energie.

  8. Danke, Richard Chaim Schneider, dass Sie wieder an Bord sind. Auf einem Schiff, dessen Route und Besatzung nicht immer ganz bekannt sind. Danke, dass Sie wieder und weiter davon berichten – wir als Ehepaar genießen Ihre Artikel, Eindrücke, Meinungen, Streitgespräche sehr, verstehen aber auch Ratlosigkeit, Verzweiflung und all die Fragezeichen.
    Für den Schmerz über den Tod von Carlo Strenger bitten wir für Sie und wünschen Ihnen Trost.

  9. Lieber Herr Schneider,Sie sprechen mir aus dem Herzen.Für 2020 wünsche ich Ihnen Energie und Zuversicht,damit Sie Ihre wichtigen Erfahrungen und Überlegungen weiter vermitteln können!Ich hoffe,Sie demnächst in Wiesbaden persönlich kennenzulernen.Mit herzlichen Grüßen, Angelika Köster-Loßack

  10. Sehr geehrter Herr Schneider, jeder, auch ein Journalist Ihres Formats, hat das Recht auf eine schöpferische Pause. Allerdings war ich sehr irritiert, dass Sie so plötzlich verstummten. Nun bin ich froh, dass Sie wieder auf „Sendung“ sind. Als mehrfacher Großvater, mit mehreren Großnichten und -neffen betätige ich mich täglich als Multiplikator. Die jungen Menschen können so wenig verstehen, was in Israel vorgeht. Ihr Blog ist natürlich nicht so anschaulich wie seiner Zeit „Zwischen Mittelmeer und Jordan“ (vor allem die Interviews mit Herrn Strenger), aber wie die Vorkommentatoren schon bemerkten, ist die augenblickliche Berichterstattung der ARD aus Israel wenig informativ. So wärme ich mich gerne wieder an Ihrem „Bloglagerfeuer“. Ich freue mich schon auf Ihren nächsten Beitrag.

  11. Man kann die Zugehörigkeit zu einer „Randgruppe“ auch weltoffen und mit Humor sehen. So wie dies etwa der Comedian Tan Çağlar tut. Er ist Rollstuhlfahrer, seine Eltern kommen aus der Türkei und er ist Hildesheimer (im Vergleich zu den Hannoveraner ein gravierendes Handicap …(-;). https://www.deutschlandfunkkultur.de/tan-caglar-ein-comedian-und-seine-randgruppen-flatrate.970.de.html?dram:article_id=468040
    Wäre Comedy oder Kabarett nicht auch etwas für Sie?

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