Impfnationalismus? Geht’s noch?

In einem großen deutschen Magazin wird Israel „Impfnationalismus“ vorgeworfen. Sorry, aber: geht’s noch? Auch auf meinen Blogeintrag über die durchdigitalisierte Impfstrategie in Israel, gab es ziemlich absurde Kommentare. Da verlangt zum Beispiel ein Leser von Israel einen Beitrag zur internationalen Solidarität und ob man „sich am langen Ende dieser Pandemie Impfapartheid vorwerfen lassen“ will. Wow…. was gibt es nicht für wunderbare neue Wortschöpfungen bei solchen, die den Juden und dem jüdischen Staat nicht wohl gesonnen sind: „Impfapartheid“. Das muss man sich mal auf der deutschsprachigen Zunge zergehen lassen!

Daten werden übermittelt

Israel hat viel Geld hingelegt, um den mRNA Impfstoff von BioNtech/Pfizer zu bekommen. Und auch von Moderna. Warum nicht? Das Geld ist m.E. gut angelegt. Denn je schneller durchgeimpft wird, desto schneller kann sich die Wirtschaft erholen (hoffentlich) – da ist es schon wert, mehr zu bezahlen. Und: Netanyahu hat Pfizer auch erlaubt, die Daten aller Geimpften in Israel zu bekommen. Die Daten werden anonym übermittelt. Gut, es gibt immer welche, die daran nicht glauben. Und ja, auch ich hätte gerne bei der ersten Impfung unterschreiben wollen, dass ich bereit bin, meine Daten weiterzugeben. Konnte ich aber nicht. Dem deutschen Datenschutz entsprechend, ist das nicht in Ordnung. Aber – sorry guys – auch in Deutschland werden oft Dinge getan, die nicht 100% in Ordnung sind. Oder weiß jeder Deutsche ganz genau, was mit seinen Daten geschieht?

„Impfapartheid“??

Aber entscheidend ist: die Daten, die Pfizer jetzt bekommt, kommen der gesamten Welt zugute (wie war das mit der „Impfapartheid“?) Denn anhand der Impfung von Millionen Israelis, eine Art „Feldstudie“, bekommt man nochmal mehr Informationen zur Wirkung des Impfstoffes und seiner Unverträglichkeiten. Und davon werden alle profitieren. Ja, auch die Menschen in Deutschland.

Und, auch das: Israel impft alle Menschen im Land. Natürlich auch die etwa 1,8 Millionen Araber mit israelischer Staatsbürgerschaft. Und auch die legalen und (!) illegalen Asylsuchenden aus Afrika. In Tel Aviv sind Impfstationen extra für diese Menschen geöffnet worden. Sie müssen nur Infos über sich und ihren Gesundheitszustand etc. angeben. Sie werden nicht (!) nach ihrem Status im Land befragt. Und ja, auch alle Auslandskorrespondenten im Land werden geimpft, ebenso andere Ausländer.

Schaden abwenden von…

Nur zur Info: Obwohl ich Deutscher bin, würde ich in Deutschland keine Impfung erhalten, da ich dort keinen Wohnsitz habe. Das war zumindest der Stand noch im Januar. Ob sich das inzwischen geändert hat, weiß ich fairerweise nicht.

Was also erwartet man eigentlich von Israel? Netanyahu hat einmal etwas Gutes getan: er hat sich tatsächlich um sein Volk gekümmert. Das ist sein Auftrag („….Schaden abzuwenden von…“). Dass er hofft, mit der Aktion auch die Wahlen zu gewinnen? Geschenkt.

Er tat das, was jede Regierung tun soll und muss: Erst einmal den eigenen Bürgern zu helfen. Ok. Das muss auch die deutsche Bundesregierung, selbst wenn die EU noch einmal andere Auflagen und Überlegungen hat. Aber wir sehen ja z.B. wie jetzt – entgegen europäischen Beschlüssen – die Grenzen zu Tschechien und Tirol geschlossen wurden. Warum? Um die eigenen Bürger vor den Mutanten zu schützen. Da mag man sich in Brüssel darüber aufregen. Aber aus der Sicht Deutschlands ist das wohl eine richtige Entscheidung. Da handelt man ebenfalls im Interesse der eigenen Bevölkerung. Da kann der Rest Europas sagen, was er will. Berlin macht, was es für richtig hält.

Impfstoff für Palästinenser?

Und dann steht da noch die Frage im Raum, ob Israel die Palästinenser mit Impfstoff versorgen muss? Oder soll. Zunächst haben die Palästinenser eine eigene Regierung: die Palästinensische Autonomiebehörde. Die ist verantwortlich für die Beschaffung und Verteilung von Impfstoff. So wird das in Jerusalem gesehen. Es gibt allerdings in der israelischen Regierung Diskussionen, den Palästinensern zu helfen. Tatsächlich ist Impfstoff auch geliefert worden (aber nur wenig, richtig). Die PA bat nun Israel ein paar Tausend Impfdosen nach Gaza zu schicken. Doch einige israelische Regierungsmitglieder befürchten, die Impfungen würden nur in die Hände der islamistischen Hamas fallen und nicht beim medizinischen Personal ankommen.

Ich persönlich fände es gut, wenn Israel den Palästinensern helfen würde. Aber dass die Regierung zuerst an die eigene Bevölkerung denkt – das ist schließlich ihr gesetzlicher Auftrag. Und den Israelis ist es herzlich egal, ob Menschen in Europa sich darüber echauffieren, dass sie geimpft werden können, weil das Land sich mal ordentlich um alles gekümmert hat. Was – zugegeben – nicht sehr oft vorkommt.

Happy Week an alle!

8 Gedanken zu „Impfnationalismus? Geht’s noch?

  1. einerseits sagt der ICC, der internationale Gerichtshof, dass Palästina ein Staat sei, andererseit verlangt man von Israel, sich um die Impfung der Palästinenser zu kümmern.

    1. Genau das ist die Crux. Die palästinensische Autonomie-Behörde verbittet sich eine Einmischung Israels, weil sie ein autonomer Staat sein wollen, andererseits ist jetzt das Geschrei groß, dass Israel nicht hilft und sich somit in die Belange ihres Staates einmischt. Und dann ist auch dann noch die Frage: Wer bekommt die Impfungen?

  2. Für die Gesundheit ihrr Leute ist die PA nach Oslo zuständig. Sie wollten erst auch keine Hilfe von Israel. Trotzdem hat man denen etwas geholfen. Der Hamas in Gaza ist reich und hält seit Jahren tote israelische Soldaten und 2 Zivilisten fest. Trotzdem hielf man die Bevölkerung von Gaza. Israel hat das Recht ihre eigene Bevölkerung zu schützen und verteidigen.

  3. Wie immer gut kommentiert! Danke! Ständig muss man sich hierzulande anhören, Israel als Besatzungsmacht habe sich gefälligst um die „Palaestinenser“ zu kümmern und ausreichend mit Impfstoff zu versorgen. Von einer Autonomiebehörde ist da nie die Rede. Also völlig abhängig und schutzlos dem Apartheidsystem angeblich ausgeliefert. Sowohl Abbas als auch Hamas wurden Impfdosen von der Israelischen Regierung angeboten. Das wurde jedoch abgelehnt, da sie die Lieferung von anderen Freunden erwartet. Vielleicht vom Iran?
    Tatsache ist, dass wieder einmal Israel an den Pranger gestellt wird. Das ewige Böse Volk.

  4. Shalom nach TLV,
    Ihr Bericht passt so wunderbar in die deutschen Neiddebatten, auf andere Länder mit dem Finger zu weisen, wenn es dort besser, schneller und für alle zugänglich funktioniert. Da man sich die eigenen enormen Schwachstellen nicht vor Augen halten will!! Diese Beobachtung verfolgen wir schon länger, und sie ist kaum noch auszuhalten!!
    Schöne Grüsse nach TLV und Danke für Ihre Berichte

  5. Lieber Richard,
    Datentransfer aus Israel für die ganze Welt? Wirklich? Impfstoffe für alle, na ja. Soweit ich gehört habe, sind 30.000 Dosen für Palästinenser bereit gestellt worden. Da wüsste ich gerne mehr. Und nicht nur Deutschland hat Impfverweigerer, die eine echte Gefahr für alle anderen in Zeiten höchstgefährlicher Mutationen darstellen. Ich habe mehrere Wochen im Landratsamt München im Team zusammen mit drei anderen Ehrenamtlichen sowohl in der Hotline als auch an der Programm-Vereinheitlichung zwischen unterschiedlichen Trägern wie Ärztekammer, Kommunen und Testzentren gearbeitet. Ziel: die Verbesserung der Nachverfolgung über eine stark verbesserte Datenbank. Im Sommer und Herbst letzten Jahres war das plötzlich alles kein Thema mehr für das Landratsamt. Es fehlte dort wie anderenorts an Weitsicht.Danach war ich wochenlang in einem Arbeitskreis von Informatikern, Medizinern und Geschäftsleuten rund um die Docterbox aus Berlin tätig. Das Ziel: Ein anonymisiertes Nachverfolgungssystem für Hotspots, das scheiterte an der mangelnden Courage der Betreiber. Ja, Deutschland hat ein Problem mit seiner Organisationsfähigkeit, der Datenschutz ist dabei nur eine vorgeschobene Innovationsbremse. Es ist in Wahrheit die fehlende Verantwortungsübernahme, die eine Corona-Bekämpfung hier so erschwert. Keiner will mit den Konsequenzen klar kommen. Ich neide Israel überhaupt nicht die Erfolge der Impfkampagne, aber ein Pling Pling- Beitrag verschleiert da mehr als er offenlegt. Deine Replik auf meine Kritik fand ich da schon erhellender. Meine Meinung: Es ist die Innovationskraft vieler Startups in der Medizin und deren weltweite Vernetzung, die Israel so weit gebracht hat. Und da erhoffe ich mir noch viel!
    Thomas

  6. Ganz ehrlich: mir läuft die Diskussion – zum wiederholten Male – wieder zu schwarz-weiß ab. Wir gut, die doof. Hier Effizienz, da Chaos. Die arrogant und rigide, wir offen und tolerant. Ja es ist richtig, vieles hätte besser laufen können, ja vielleicht müssen. Aber die Lage ist insgesamt schwierig und komplex, hier wie dort (wie mir meine arabisch-israelische Schwiegertochter aus Haifa bestätigt). Sie erfordert Solidarität, Geduld und viel Verständnis . Bitte hören wir auf mit dieser holzschnittartigen Diskussion und den Unterstellungen, dass wir vordergründig über Corona reden, aber eigentlich tiefsitzende Ressentiments transportieren und bedienen. Bitte!

  7. Dazu möchte ich sagen:
    1. in Deutschland sind wir auch nur an diesem Punkt
    – die Menschen hier haben und immer noch ihr Verhalten sich nicht entsprechend geändert
    – die Deutschen mussten letzteren Sommer auch dringend in den Urlaub, weil es nichts wichtigeres gibt!????
    – die Bürokratie in Deutschland funktioniert, das ist sicher
    – Israel kann es einfach! Unkompliziert!
    Das muss man anerkennen!

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